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Pakistan: Weisen die Wahlen am 18. Februar einen Weg aus der Dauerkrise?

14. Februar 2008
von Gregor Enste

Ein Stimmungsbericht von Gregor Enste
Leiter des Büros Lahore der Heinrich-Böll-Stiftung 


Für Montag den 18. Februar 2008 sind in Pakistan landesweite Wahlen angesetzt. Neu gewählt werden das Nationalparlament in Islamabad und die Parlamente aller vier Provinzen in Sindh, Punjab, Balochistan und der Nordwestgrenzprovinz NWFP. Die Wahlen waren nach der Ermordung Benazir Bhuttos am 27.Dezember 2007 und den darauf folgenden Unruhen um sechs Wochen verschoben worden. Informationen zu Parteien, Wahlsystemen und Wahlprogrammen finden Sie hier.

Die letzten 12 Monate vor diesen Wahlen können als eine der turbulentesten und gewalttätigsten Perioden in der erst 60-jährigen Geschichte Pakistans bezeichnet werden. Die Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad durch Regierungstruppen, die darauffolgende Welle der Selbstmordanschläge auf staatliche Einrichtungen, die umstrittene Wiederwahl General Musharrafs zum Präsidenten, die Ausrufung des Ausnahmezustands und die Attentate auf Benazir Bhutto markieren nur einige der Ereignisse. Von daher stehen diese Wahlen für die Hoffnungen auf einen Wandel. Je nach Ausgang bestünde die theoretische Chance, mit neuen politischen Konfigurationen, Parlamentsmehrheiten und Bündnissen auch eine neue Regierung bilden und damit einen für Pakistan dringend notwendigen radikalen demokratischen Neuanfang wagen zu können. Dafür sind allerdings Voraussetzungen nötig, die auf den ersten Blick nicht erfüllt scheinen.

Kein Vertrauen in freie und faire Wahlen

Wichtig wäre, dass die zur Wahl aufgerufene Bevölkerung darauf vertraut, über die Wahlen einen Wandel einleiten zu können. Und vor allem müsste damit eine Aufbruchstimmung einhergehen, die die Bevölkerung motiviert, überhaupt zur Wahl zu gehen. Bei den letzten landesweiten Wahlen im Jahr 2002 gab es eine Beteiligung von nur 42%. Leider steht zu befürchten, dass dieses Mal noch weniger der insgesamt 81 Millionen registrierten Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen wird. Jedenfalls ist keine positive Wahlkampfstimmung zwischen Islamabad und Lahore, zwischen Karachi und der Nordwestgrenzprovinz zu spüren. Das hat unterschiedliche Gründe.

Nach der Ermordung Benazir Bhuttos befand sich das Land wochenlang in einer Art politischen Lethargie. Die Fassungslosigkeit, die das Attentat ausgelöst hatte und das Vakuum, das der Tod dieser charismatischen Person hinterlassen hat, war parteiübergreifend. Wegen der 40-tägigen Trauer um ihre Präsidentin enthielt sich die Pakistan Peoples Party (PPP) bis zum 08. Februar jeglicher öffentlicher Wahlkampagnen. Doch gerade diese Partei war für ihre lauten, bunten und volksnahen Straßenkampagnen bekannt. Die das Land mittlerweile regelmäßig erschütternden Bombenanschläge verstärken das allgemeine Gefühl der Unsicherheit in der Wählerschaft. Gezielte Selbstmordanschläge auf Parteiversammlungen zum Beispiel der ANP (Awami National Party) mit Dutzenden von Toten in den letzten Tagen haben dazu geführt, dass größere Menschenansammlungen gemieden werden.

Zahl der offiziellen Wahlbeobachter unter 200

Außerdem hat die überwiegende Mehrheit der Wähler kein Vertrauen in freie und faire Wahlen. Aufgrund langjähriger negativer Erfahrungen gehen viele Pakistani davon aus, dass auch diese Wahlen manipuliert werden. Doch eventuelle Wahlfälschungen sind schwer verifizierbar. Eine unabhängige Wahlbeobachtung wird kaum gewährleistet sein, jedenfalls nicht von der Internationalen Gemeinschaft. Nachdem zwei renommierten amerikanischen Instituten die Wahlbeobachtung untersagt wurde und beispielsweise einer Beobachtergruppe des Commonwealth die Einreisevisa verweigert wurden, wird nur eine EU-Wahlbeobachtergruppe im Land präsent sein. Verlässlichen Quellen zufolge wird damit die Zahl der offiziellen Beobachter nicht über 200 hinausgehen, und das bei 65.000 Wahllokalen. Einem geplanten inoffiziellen Wahlmonitoring durch Nichtregierungsorganisationen, Medien und Einzelpersonen kommt daher große Bedeutung zu, dieses wird in der Realität aber an rechtliche Grenzen stoßen. Denn jeder örtliche Wahlleiter kann Nichtwahlberechtigten den Zutritt zu Wahllokalen untersagen.

So verkünden die Parteien vorsichtshalber, dass eine mögliche Niederlage ihres Lagers nur auf Wahlfälschungen zurückgeführt werden kann. Jede Wahl produziert Verlierer, und die Gesellschaft muss den politischen Wettstreit und die darauf folgende Machtbalance zwischen Gewinnern und Verlierern aushalten können. Aber in Pakistan verlieren Parteien schon unter normalen Umständen nicht gern, von daher sind besonnene und verantwortungsvolle Reaktionen der politischen Führungspersönlichkeiten nach den Wahlen notwendig, um Unruhen zu vermeiden.

Vertrauensdefizite bei den Spitzenkandidaten

Aber gerade hier ist das größte Defizit festzustellen. Denn keine der bei der Wahl antretenden Parteien hat Spitzenkandidaten anzubieten, denen die Bevölkerung auch jenseits des eigenen Lagers zutraut, das Land aus der Krise zu führen. Das lässt sich vor allem für die beiden größten Oppositionsparteien feststellen. Die Pakistans Peoples Party hat nach dem Tode Benazir Bhuttos ihren 19-jährigen in London lebenden Sohn zum Nachfolger bestimmt und ihren Ehemann Asif Zardari mit der Wahrnehmung der laufenden Geschäfte beauftragt. Zardari tritt im Wahlkampf wie ein Spitzenkandidat und zukünftiger Premierminister auf, kandidiert aber für keinen Parlamentssitz, was die Voraussetzung für ein Regierungsamt wäre. Da er wegen eines langen Vorstrafenregisters das passive Wahlrecht verloren hat, kann er unter derzeitigen rechtlichen Bedingungen auch bei den in Pakistan üblichen Nachwahlen nicht kandidieren. Ähnlich sieht es bei der Pakistan Muslim League um den erst im November aus einem 8-jährigen Exil zurück gekehrten früheren Premierminister Nawaz Sharif aus. Ihm ist die Kandidatur für einen Parlamentssitz von der Wahlkommission wegen gegen ihn laufender Strafverfahren verweigert worden.

Einziges gemeinsames Wahlziel beider Oppositionsparteien könnte daher die Amtsenthebung Präsident Musharrafs sein, was ihnen verfassungsrechtlich bei einer 2/3 Mehrheit in beiden Häusern der Nationalversammlung möglich wäre. In der Verhinderung dieser Mehrheit liegt das Minimalziel der bisherigen Regierungsparteien um Musharraf.

Pakistans Probleme könnten nach den Wahlen erst anfangen

Wie immer in Pakistan muss man auch bei diesem Szenario die Rolle des die pakistanische Politik dominierenden Militärs berücksichtigen. Dabei ist es interessant zu beobachten, dass sich das Militär bislang zurückhält. Schlagzeilen machte aber vor ein paar Wochen ein offener Brief von hundert Generalstabsoffizieren im Ruhestand: in diesem forderten sie Musharraf im Interesse des Landes zum Rücktritt auf. Der neue Generalsstabschefs Kayani hat sogar erklärt, dass sich die Armee in Zukunft auf seine originäre Rolle der Landesverteidigung beschränken werde. Dies wäre dem Land sehr zu wünschen. 

Denn die Herausforderungen und Probleme, denen sich Pakistan gegenüber sieht, fangen nach den Wahlen vielleicht erst an. Und jede neue Regierung, gleich welcher Couleur, muss sofort Maßnahmen zur Behebung einer bisher verschwiegenen katastrophalen Haushaltslage einleiten. Sie muss umgehend neue Wege in der Eindämmung des militanten Extremismus und der offenen Talibanisierung in Teilen des Staatsgebietes finden. Irgendwie fühlt die politisch denkende Bevölkerung, dass die Lösung dieser beiden - für die Zukunft Pakistans existentiellen - Probleme nur in einem politischen Konsens und einer gesellschaftsübergreifenden Kraftanstrengung angegangen werden können.